Nachtvolk bei Nesselwang
Vor vielen, vielen Jahren ging einmal ein Mann von Leuterschach kurz nach Mitternacht daheim fort um den Sonthofener Viehmarkt zu besuchen. Noch ehe der Morgen zu grauen anfing, kam er schon in die Gegend von Nesselwang, und als er bei Niederhofen vorbeiging, hörte er auf einmal in einem Gehölze seithalbs der Straße einen gar wunderlieblichen Gesang und herrliches Musizieren und Jauchzen, daß er es seiner Lebtag nie so schön gehört hatte. Darob war er nun nicht wenig erstaunt, dachte aber sogleich an das Nachtgjaid, von dem er schon hatte erzählen hören, wie schön es musiziere, und nun hätte er sich gerne zum Schutze niedergelegt, wenn er nur keine Zeit zu verlieren gehabt hätte. So dachte er sich aber: Gehst halt ruhig in Gott's Namen deines Weges fort! Wie er eine Strecke weit gekommen war, sah er plötzlich einen Reiter auf einem schwarzen Roß daher sprengen und vor ihm quer über die Straße gegen den Niederhofer Wald zueilen, von woher die wunderschöne Musik erschallte. Das Roß war, wie er deutlich sah, vollständig angeschirrt. Der Reiter aber, der darauf saß, hatte keinen Kopf. Da überkam den Mann freilich große Furcht, und als er das Gesehene in Nesselwang erzählte, sagte man, er solle Gott danken, daß er diesmal gut und unbeschädigt davon gekommen sei.
Karl Reiser