Schatz am Schwanstein

Auf dem Platze, wo jetzt das Schloss Neuschwanstein steht, hat früher eine alte Burg gestanden, von der man von Mauern und Überreste sah, ehe man das jetzige Schloss zu bauen angefangen. Auf diesem alten Gemäuer sah man des Nachts oftermalen einen Geist in einem weißen Priestergewande hin und her gehen. Zuletzt stürzte er sich jedesmal über die Felsen hinab in die Pöllatschlucht und verschwand dort.

 

Auch ein Schatz lag in diesen Ruinen verborgen und wurde von einer Frau gehütet. Man hat diese öfters gesehen, und einmal kam sie sogar zu Leuten, die in der Nähe arbeiteten, und sagte ihnen, dass in der Burg in einem Gange eine große Kiste voll Geld wäre, das sie alles nehmen könnten, wenn sie den großen scharzen Hund, der auf der Kiste sitze, nicht fürchteten und mit der Wurzel, die nebenan liege, die Truhe aufschlössen. Als die Leute aber zum Gange kamen, bemächtigte sich ihrer Furcht und sie flohen davon.

 

Später aber hat es ein armer Mann von Schwangau lange versucht, den Schatz zu heben, und gar oft und fleißig in dem Gemäuer herumgegraben, obgleich ihn die Leute der Umgegend dessentwegen oft verspotteten und auslachten. Zuletzt aber scheint er doch zum Schatz gelangt zu sein; denn er baute sich auf einmal ein schönes, großes Haus, richtete einen Laden ein, und da er fortan immer Geld genug hatte, sagte man insgemein, er habe den Schatz im alten Schlosse gehoben und sei davon so reich geworden.

 

Reiser

 

Auf Frauen als Schatzhüterinnen trifft man bei vielen Burgen. Manchmal sind sie als Hinweis auf eine verlorengegangene weibliche Kultur zu verstehen. Nicht immer sind die Schatzhüterinnen so wohlgesonnen wie in der Sage vom Schwanstein-Schatz. Ein furchteinflößender Geisterhund bewacht den Schatz. Da die Welten der Lebenden und Verstorbenen durchlässig waren, wurden Wachhunde häufig über einem Schatz begraben. Daher kommt das Sprichwort "hier liegt der Hund begraben" wenn man dem Wesenskern nahe ist.

 

Neuschwanstein Marienbrücke
Neuschwanstein und Marienbrücke