Franziskanerkirche St. Stephan
Der ewige Jude in Füssen
(St. Stephan, Franziskanerkirche)
Als einmal an einem Sonntag in der Franziskanerkirche zu Füssen ein Pater predigte, saß unter der lauschenden Menge auch ein kleines fremdes Männlein mit einem ganz kleinen Hütlein, das es neben sich hingelegt hatte und hörte aufmerksam dem Worte Gottes zu. Der Prediger behandelte aber gerade den christlichen Glauben, dessen Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit und klagte bitte, wie sehr der wahre und lebendige Glaube allenthalben schwinde und wie klein er schon geworden sei.
"Ja, so klein ist er geworden, dass ich ihn unter mein Hütlein sperren könnte", fiel ihm da das kleine Männlein laut in die Rede, dass man es in der ganzen Kirche deutlich hören konnte. Sprachs, nahm sein Hütlein und ging zur Kirchentür hinaus. Dann schritt es über den Kirchplatz und der Brücke zu und auf der Straße weiter bis zum Lusalten, wo der Sankt Mangentritt ist. Hier machte es einen gewaltigen Sprung über den Lech und verschwand dann jenseits der Felsenenge, so dass man nichts mehr von ihm sah. Insgeheim hieß es nun aber bei den Leuten, das sei kein anderer als der ewige Jude gewesen.
Beim Mohrenwirt habe er logiert, und da habe man ihn daran erkannt, dass er in seinem Zimmer den Tisch in die Mitte gerückt habe und die ganze Nacht um denselben herumgegangen sei.
(Karl Reiser)
Die Legende vom ewigen Juden ist seit dem 13. Jahrhundert in Mitteleuropa bekannt und ist offenbar über den Erzbischof von Armenien zunächst nach England gekommen.
Sie beruht auf folgender Geschichte:
Der jüdische Schuhmacher Ahasveros sah in Jesus keinen Messias, sondern einen Ketzer. Als Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung war, habe Ahasveros ihn verspottet und ihm eine Rast an seiner Türschwelle verweigert. Darauf wurde er von Jesus mit folgenden Worten verflucht: "Ich will stehen und ruhen, du aber sollst gehen!"
Ahasveros ist ein persischer Name.
Im Buch Ester ist Ahasveros der dümmliche Ehemann der Ester.
Ahasveros ist aber auch der Name für verschiedene persische Großkönige, z..B. Xerxes I. (486 – 465 v. Chr.)
Der Judenhut musste zwischen dem 11. und dem 16. Jahrhundert von männlichen Juden zur Kennzeichnung getragen werden. Seine Form ist einem Trichter vergleichbar, den man sich über den Kopf stülpt.
Der Begriff Hut steht in der Sprache des Mittelalters für die Mitra eines Bischofs oder die Krone eines Königs bzw. Herrschers. Damit war früher gemeint, dass die Menschen dem Willen und der Herrschaft des Mannes unterstanden, der sie nun regierte, hier also ist der Glaube im Hut des Juden. Daher rührt auch das Sprichwort "alles unter einen Hut bekommen"
Die Sage ist auf der rationalen Ebene in sich unschlüssig, da ein Jude als Ungetaufter die Kirche nicht hätte betreten dürfen. Folglich war wohl gemeint, dass bei der Franziskanerkirche scheinbar noch der Glaube dem "Juden", also dem vorchristlich-heidnischen unterstand.
Die Franziskanerkirche ist die ehemalige Pfarrkirche von Füssen. Dies verwundert umso mehr, als die Kirche auf einem Hügel außerhalb des inneren Stadtmauerrings liegt. Erst um 1500 wurde die äußere Stadtmauer gebaut, die dann auch die Vorstadt und die Kirche St. Stephan umschloss.
Der Hügel, der die Stephanskirche trägt, ragt wie eine Halbinsel in das Lechbett. Es ist naheliegend, dass sich hier ein Lech-Opferplatz befand, der in Zusammenhang mit der Wintersonnwende stand, denn der Stephanstag ist der 26. Dezember.
1206 wurden die Pfarreirechte von der Kirche St. Stephan auf die Kirche St. Mang übertragen. Die Kirche ist dem Hl. Stephanus geweiht. Deswegen ist auf dem 1764 von Franz Anton Zeiller geschaffenen Altarblatt die Steinigung des Hl. Stephanus dargestellt.
Weitere Bilder in der Kirche stellen "Maria vom Guten Rat" (eine Kopie des Stamser Gnadenbildes), die "Krönung Mariä" und den Hl. Franziskus dar.
Im Rahmen der Gegenreformation wurde ab 1628 von Franziskanern aus Reutte ein Kloster neben der Kirche gegründet. Seit her wird die Kirche gemeinhin als Franziskanerkirche bezeichnet.
Der Stephanstag am 26. Dezember ist ein außerordentlich wichtiger Tag im Jahreskreis.
Stephanus wird als Erzmärtyer verehrt. Er ist der erste von sieben Diakonen der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Er wurde noch von den Aposteln durch Handauflegen geweiht. Da er die Versorgung der Witwen forderte, kam er in Konflikt mit den Juden und wurde angeklagt. Stephanus wollte sich verstecken, wurde aber durch einen Zaunkönig, der laut zwitscherte, an seine Verfolger verraten. Seine Gesicht habe bei seiner Verteidigungsrede, als er sich zum Christentum bekannte, gestrahlt. Von einer aufgebrachten Menschenmenge wurde er vor die Stadt geschleppt und gesteinigt.
Durch die Verdrängung der vorchristlichen Mythologie, die mit der Wintersonnwende verbunden war, wird er zum Patron der Pferde und zum Schützer des Gedeihens in Feld und Haus. Am Stephanstag wird Brot an Arme verteilt. Wein wird dadurch gesegnet, dass ein Stein in einen Kelch Rotwein gegeben wird. Dieser Wein wird dann als Medizin während des Jahres verwendet. Am Stephanstag wechselten die Kutscher und Pferdeknechte ihre Stellung. Es ist daher auch ein alter Zahltag.
In Altdorf bei Marktoberdorf wurde die Kirche am Stephanstag von allen Rossbesitzern drei Mal umritten, damit es allen Tieren im Stall, insbesondere den Pferden gut ergehe. Dabei wurden mehrere Vaterunser gebetet.
Von den Bauern in Burggen bei Bernbeuren wurde an diesem Tag der Hafer für die Pferde geweiht und unter das Viehfutter gestreut. (Karl Reiser, Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus)
Der kleine Vogel Zaunkönig, der mit St. Stephan verbunden wurde, birgt eine starke Mythologie. Nicht nur in der deutschen Sprache, sondern auch vor mehr als 2.000 Jahren wurde er in Griechenland als König bezeichnet (basileus = kleiner König) Als Bewohner der Hecken ist er ein Grenzgänger und Mittler zwischen den Welten. In England und Irland gilt deswegen der Zaunkönig als Symbol der Druiden. Sie sind die „eigentlichen“ Könige, die im Untergrund leben. So lässt sich auch erklären, warum in späterer Zeit am 26. Dezember in England Zaunkönigjagden veranstaltet wurden. Darin verbirgt sich ein alter Opferkult zur Wintersonnwende, der sich mit der Verfolgung der Druiden vermischt hat.
Der "ewige Jude" entfernt sich über den Lusalten. Wie St. Mang überspringt er dabei die Lech-Schlucht. Die könnte bedeuten, dass ein Zusammenhang zwischen dem Hügel der Franziskanerkirche und dem Kultplatz am Lusalten besteht. Wie in anderen Sagen vom ewigen Juden hat die Geschichte auch hier Elemente eines Wanderers oder Pilgers, bzw. Druiden. In vielen Sagen wird genau der Weg geschildert, wie der ewige Jude weiterzieht und damit eine Verbindungslinie zu anderen vorchristlichen Kultorten gezogen.
Die Bedeutung des Lusalten wird an anderer Stelle im Buch im Rahmen der Magnus-Legende näher behandelt. (vergleiche auch Wintergerst, "Orte der Göttin & Magnuslegende")