Apfelbaum Waltenhofen

Aus dem Namen eines Ortes kann oft geschlossen werden, wann die historische Gründung der Siedlung erfolgte. Besonders markant sind dabei die Endungen der Ortsnamen –ingen (z.B. Memm-ingen, Sigmar-ingen, Hert-ingen) und –hofen. "Hofen"-Orte (hier Walten-hofen) gehören einer Besiedlungsphase an, bei der die Gründung am Schluss des 8. Jahrhunderts bereits beendet war. Dies ist ein Beleg dafür, dass zur Zeit des Heiligen Magnus in Waltenhofen schon eine Siedlung bestand.


 

In der Magnus-Vita heißt es:

"Magnus und Tosso gelangten auf dem Weg entlang des Lechs zu einem schönen Ort, der noch keinen Namen hatte, obwohl dort eine vorzügliche Ebene lag. Oberhalb des Flusses machte Magnus eine sehr schöne und anmutige Stelle ausfindig, wo im Abstand von ungefähr dreißig Ellen vom Ufer jenes Flusses ein prachtvoller blühender Apfelbaum stand. An diesen Baum hängte er das Kreuz, rief den Priester Tosso herbei und gemeinsam warfen sie sich vor dem Kreuz zum Gebet nieder. Nach dem Gebet legten sie den Grundstein und errichteten eine Kirche.“

Heiliger Baum

Eine kleine Kapelle nahe dem Friedhof der Pfarrkirche in Waltenhofen und ein Gedenkstein neben dem Friedhofs-Eingang erinnern an die Legende. Diese erste Waltenhofener Kirche wurde - vermutlich im Jahre 746 - von Bischof Wikterp zu Ehren der Gottesmutter Maria und des Heiligen Florian geweiht. Wiederum drängen sich Fragen auf: warum wird so präzise festgehalten, dass das Kreuz an einen blühenden Apfelbaum gehängt wird? Warum wird die Kirche der Maria und dem Heiligen Florian geweiht? Warum wird so genau die Entfernung zum Lechufer beschrieben?

Schwangau Waltenhofen
Schwangau Waltenhofen
St. Mang Schwangau Waltenhofen
St. Mang in Waltenhofen

St. Florian

Der heilige Florian ist der Patron des keltischen Königreichs Noricum. St. Florian wird gekleidet wie ein römischer Soldat dargestellt. Er ist der einzig namentlich bekannte und historisch fassbare frühchristliche Märtyrer im Gebiet der Ostalpen. Dort ist er der bekannteste Heilige.St. Florian war ein römischer Beamter, der zum christlichen Glauben übertrat. Er starb bei Enns in Oberösterreich am 4. Mai 304 n. Chr. den Märtyertod. St. Florian wurden, so heißt es in Schriften, mit geschärften Eisen die Schulterblätter zerschlagen. Anschließend sei der Sterbende mit einem Mühlstein um den Hals in dem Fluss Enns ertränkt worden.

Patrozinium

In dieser frühmittelalterlichen Zeit, in welche die Kirchengründung von Waltenholfen fällt, wurde St. Florian im südlichen Allgäu nur selten als Kirchenpatron gewählt. Er galt als Brand-Schützer und als Patron gegen Überschwemmungen. Da St. Florian vor Überschwemmungen schützt, könnte eine Verbindung zum Lech gegeben sein. Vielleicht übernimmt der Kirchenbau in Waltenhofen daher einen vorherigen Lech-Opferplatz. Oftmals tobte der Lech gegen den Steilhang, auf dem die Kirche in Waltenhofen steht. Mehr als einmal wurde in der Geschichte von Waltenhofen ein Stück des die Kirche umgebenden Friedhofs weggerissen. Wer den Lech an dieser Stelle bei Hochwasser erlebt hat, versteht, warum die Menschen versuchten, die wilden Fluten mit Opfergaben zu besänftigen. Wahrscheinlich liegt die Kirche auch an einer uralten Lechfurt.

Es könnte auch sein, dass ursprünglich nicht Florian, sondern Florin (ein Heiliger aus Südtirol) als Patron der Kirche in Waltenhofen gemeint war. Dies wiederum könnte sich als eine Fortführung des Kultes der römischen Göttin Flora erweisen. Flora ist in der römischen Mythologie die Göttin der Blüte. Sie gehört in den Kreis der Vegetations-Göttinnen und wird in Beziehung zu Ceres, Demeter und Tellus gesetzt .

Flora war außerdem die Göttin der Jugend und des fröhlichen Lebensgenusses, schließlich auch die der "guten Hoffnung" (Schwangerschaft) der Frauen.

Baumblüte

Aber selbst wenn es bei Florian als Patron für den Kirchenbau in Waltenhofen bleibt, so ist sein Namenstag (Gedenktag) immerhin der 4. Mai. Ein Tag genau in der Zeit im Jahreskreis, in der im Allgäu die Apfelbäume in voller Blüte stehen.

Beltane

Zudem liegt dieser Tag "verdächtig" nahe an Beltane, auch Walpurgis oder Frei-Nacht genannt, die Nacht vor dem 1. Mai. Eine besondere Nacht, in der Freudenfeuer entzündet wurden, da sich die Erde durch die Sonne erwärmt und fruchtbar wird. Die Kelten schmückten zu Beltane die Häuser und Ställe mit frischem Grün. Mancherorts wird noch heute die Wahl der Maikönigin durchgeführt. Oder etwa in Hopferau wird Maria als Maienkönigin mit einem Marien-Singen geehrt. Ein letzter Hauch der tiefen Verehrung der Göttin, die dem Land die Fruchtbarkeit schenkt.

Beltane ist eines der großen keltischen Jahresfeste. Beltane feiert den Übergang vom Winterhalbjahr (1. November bis 30. April) in das Sommerhalbjahr (1. Mai bis 30. Oktober).

An den Grenzpunkten und -zeiten von Sommer- und Winterhalbjahr sind der Überlieferung nach die Übergänge von diesseitiger Welt und Anderswelt besonders durchlässig. Die Aussaat im Frühjahr war in einer Zeit, die noch nicht von Traktoren und Kreisel-Mähern beherrscht war, viel mehr als ein nüchterner Arbeitsgang. Alltag und Spiritualität durchdrangen sich gegenseitig. So war das Öffnen der ersten Ackerfurche ein heiliger Vorgang, das Hineinlegen des Saatgutes in die Erde eine kultische Handlung, die von Ritualen begleitet war.

Kultplatz

Sollte es in Waltenhofen einen Kultplatz mit einem blühenden Apfelbaum in der Mitte gegeben haben, an dem in einem berauschenden Fest der Frühling und die Fruchtbarkeit gefeiert wurden? Bei Ausgrabungen in der Kirche sind markante Steine gefunden worden, die nach Angaben von Pfarrer Gleich weit älter sind als die Zeit des Hl. Magnus, die diese Vermutung bestätigen. Ist nicht der Apfel die Frucht der Liebe und der Jugend schlechthin? Besitzt unsere Kulturgeschichte nicht Liebesäpfel, den Apfelbaum im Paradiesgarten und die Äpfel der Hesperiden?

Entsprechend dieser Deutung passen der blühende Apfelbaum, von dem die Legende spricht, mit der Widmung der Kirche in Waltenhofen an Flora/Florin/Florian zusammen wie Puzzlestücke, die in ihrer Gesamtheit ein Bild ergeben.

Noch einen Schritt weitergedacht, kann aus der Legende, die den Baum mit dem Kreuz so hervorhebt, ein Baumkult heraus gelesen werden. Eine Verehrung des Apfelbaums durch St. Mang? Vielleicht haben Magnus und Tosso sich eben zuerst nicht vor dem Kreuz niedergeworfen, das sie an den Apfelbaum gehängt haben, sondern vor dem Apfelbaum selbst, da es ein heiliger Baum war!

Verfolgung der heiligen Bäume

Leider gibt es in Europa nur noch wenige heilige Bäume. Weitaus mehr als die heiligen Steine wurden die Kultbäume ausgerottet. Bäume wurden wie Menschen verfolgt und verbrannt. Die Römer holzten die heiligen Haine der Kelten ab, und die christlichen Missionare fällten die heiligen Bäume der einheimischen Bevölkerung. Noch im 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Bäume öffentlich angezeigt und angeklagt, durch die kirchliche Obrigkeit entweiht und anschließend gefällt, wie z.B. im Luzerner Hinterland.

Dem heiligen Apfelbaum in Waltenhofen blieb dieses Schicksal erspart. Unangetastet blieb er bis ins 18. Jahrhundert stehen und starb an "Altersschwäche". Der Grundstückseigentümer ist bekannt, auf dem zuletzt dieser kultisch verehrte Baum stand. Es ist Adam Mayr. Von diesem Adam Mayr stammen viele Familien in Schwangau und Umgebung ab.

Säuling bei Schwangau
Säuling bei Schwangau