Der Wassermann im Weißensee
Von allen Wassermännern, die einst in den Seen um Füssen ihr Unwesen trieben, war der vom Weißensee der gefährlichste. Es gab ein eigenes Gebet, das den Fischern und den angrenzenden Bauern half, wenn der Gefürchtete nach Jahren der Ruhe plötzlich wieder auftauchte. Begegnete man ihm bei Tage, so war er nicht gefährlich. Ja, er fürchtete sich dann sogar vor den Menschen. Man konnte ihn dann zuweilen beobachten, wie er, über und über mit einer Hechthaut bedeckt, langsam durchs Schilf watete, jedoch ohne jemals seine Füße aus dem Wasser zu nehmen; denn er hatte die Berührung mit dem Wasser zum leben nötig wie die Menschen die Luft. Bis zu den Knien reichte sein Bart. Verwickelte er sich manchmal mit seinen Fußkrallen darin, warf er sich ins Wasser und strampelte so wild, dass es aussah, als wollte er sich selbst den Kopf herunterreißen.
Mit seinen Barthaaren und einer Nadel, die er sich aus einer harten Binse gefertigt hatte, nähte und flickte er dann und wann am Ufer, in der Sonne sitzend, sein zerrissenes Fischgewand und murmelte dabei unverständliche Worte vor sich hin. Ein Bauer, der in der Nähe Heu wendete, will einmal dabei höllische Fluchworte verstanden haben, so dass er sich bekreuzigte und davonlief. Eine Stunde zuvor war in dieser Gegend ein Unwetter niedergegangen, dem zwei Bauernhöfe zum Opfer gefallen waren. Man gab natürlich dem Fluch des Wassermanns die Schuld.
Wahrscheinlich geht auf die Angst vor dem Wassermann der noch im späten 18. Jahrhundert verbürgte Brauch zurück, dass die Weißenseebauern um die österliche Zeit allerlei Geweihtes in den See warfen, um sich vor Hagelschlag zu schützen. Daneben aber hielt sich hartnäckig das Gerücht von einem geradezu teuflischen Menschenraub, den der Unhold bisweilen mit List und Tücke trieb.
Wasserleute können sich nämlich entsprechend der Wandlungsfähigkeit ihres Elements in allerlei verlockende Dinge verwandeln. Dann glaubt der Fischer, der in seinem Nachen über den See fährt, er müsse unbedingt den Riesenhecht angehen, der so auffallende Kreise um ihn zieht. Beißt der Hecht an, dann donnert ein Höllengelächter über den See, und der vom verwandelten Wassermann geangelte Fischer verschwindet samt seinem Kahn in der Tiefe.
oder ein Kind will am Ufer eine besonders schöne Trollblume, so groß bald wie ein Kinderkopf, pflücken und wird dabei ebenfalls von unsichtbarer Hand in die schlammige Tiefe gezogen.
Die erste Nennung des Weißensees ist im Jahr 1160. Im Jahr 1229 wird die Kirche von Weißensee dem Kloster St. Mang in Füssen inkorporiert. (Thaddäus Steiner, Historisches Ortsnamenbuch, Band Füssen)
In dieser Sage tritt der Wassermann als Wettermacher in Erscheinung. Offenbar bestand auch ein fester Opferplatz für das Wasserwesen im Weißensee.
Ein Menschenraub wird angedeutet. Damit besteht eine Paralelle zu der Sage vom "Fischmännle im Hopfensee". Wasser oder ein tiefer Brunnen wird oft als Zugang in eine andere Welt gesehen. Wie im Märchen von der Frau Holle geraten Menschen über einen Brunnen (hier den See) in eine andere Wirklichkeit und haben dort Prüfungen zu bestehen (Goldmarie und Pechmarie). Es ist möglich, dass dies der Rest einer Initiations-Sage ist. Auch die Fähigkeit des Wettermachens hat der Wassermann vom Hopfensee mit Frau Holle gemeinsam. Diese schüttelt ihre Betten aus und es beginnt zu schneien.