Sterben und Tod
Todesbräuche im Allgäu und Außerfern
Das Ende
Zeigen sich bei einem Schwerkranken Zeichen des eintretenden Todes, „fällt er in d'Züg“ beginnt er „zu ziehen“, so wird ihm ein Sterbkreuz in die Hand gegeben; eine geweihte Wachskerze wird angezündet und all die Angehörigen werden herangerufen, die das Sterbelager weinend und schluchzend umstehen oder in der Nähe traurig im Gebete verharren. Jemand macht eiligst im nächsten Nachbarhaus Meldung, von wo aus all die Nachbarschaft eiligst „zum Ende“ gerufen wird, so dass in kurzer Zeit der Gang vor dem Sterbezimmer, die Stube, zum Teil oft auch das Sterbezimmer selbst sich mit Leuten anfüllt, die beten. Wo ein Geistlicher im Orte ist, wird dieser selbstverständlich herbeigerufen, der dem mit dem Tode ringenden Sterbgebete vorspricht. Zuweilen erholt sich der Schwerkranke wieder so, dass vorerst das Verscheiden nicht zu befürchten ist. In diesem Falle entfernen sich die meisten Leute wieder, um oft nach kurzer Zeit abermals herbeigerufen zu werden. In manchen Orten, wie in Pfronten, wird, wenn die lokalen Verhältnisse es möglich machen, beim „zum End rufen“ in der Kirch auch das „Zügglöckle“ geläutet, und wer nicht herbeieilen kann, betet beim Anhören desselben im Stillen für die Sterbenden um eine glückselige Sterbestunde. Ist der Kranke verschieden, so geben all die zum Ende Herbeigekommenen den in Trauer Versetzten in ernster Fassung zum Leidtrösten die Hand, meist mit den Worten: „Tröste Gott s'Leid“ oder „unser Herrgott wird wieder weiter helfen“.
Die Schiedung
Alsbald nach dem Verscheiden wird hiervon dem Mesner Meldung gemacht, der nun in der Kirche die Schiedung läutet. Vielerorts ist es herkömmlich, dass beim Tode einer Mannsperson die große, einer Frauensperson die zweitgrößte Glocke mit einer oder zwei kurzen Unterbrechungen vorangeläutet wird, worauf dann meist das volle Glockengeläute erfolgt. Fast überall wird eine Schiedung nur beim Tode eines Erwachsenen geläutet, zu welchen auch Kinder gezählt werden, sobald sie die Kommunion empfangen haben. Zuweilen wird Personen, die auswärts gestorben sind auch in der heimischen Pfarrkirche geläutet. Im Walsertal wird bei dem Tode eines Erwachsenen die „Schieda“ in allen drei Pfarreien des Tales geläutet und dadurch die Zusammengehörigkeit aller Walser in hübscher Weise zum Ausdruck gebracht.
Aufbahrung
Im größten Teil des Allgäus geschieht die Aufbahrung durch die Nachbarsleute. Je nach den Umständen wird vielfach das Gesicht des Toten mit einem Kirschengeist oder sonstigen Schnaps oder in Essig getauchten Schwamm oder Leinen abgerieben und gewaschen. Dem Leichnam wird dann gewöhnlich frische Wäsche und ein schwarzes Häs angezogen. Die Füße erhalten schwarze Strümpfe, fast nie aber Schuhe.
Die Aufbahrung erfolgt in den allermeisten Fällen im Sterbezimmer. In Reutte ist es vielfach üblich geworden, die Matratze auf einem geeigneten langen Tisch zu legen. Über die Leiche wird gewöhnlich ein schneeweißes feines Laken ausgebreitet, dass zu deren Häupten zurückgeschlagen wird, so oft jemand den Toten noch einmal sehen will. Stets werden nebenan auf dem Tische oder einer Kommode ein Kruzifix und ein paar Leuchter mit Wachskerzen aufgestellt. Nie fehlt auch daneben ein Gefäß mit Weihwasser und einem Rosmarin- oder Buchszweig. Und wer immer in das Zimmer eintritt und bei der Leiche eine kurze Zeit im stillen Gebete oder Betrachten verweilt, gibt mit dem Zweig dem Abgeschiedenen beim Kommen und vor dem Weggehen noch das Weihwasser. Das Zimmer selbst ist meist durch Schließen einiger Fensterläden etwas verdüstert oder dunkel verhangen. Wesentlich einfacher wurde es in diesen Dingen früher gehalten.
Totenbretter
Fast überall wissen ältere Leute noch zu erzählen, dass die Leiche vor Jahrzehnten allgemein nur auf einem längs einer Wand aufgestellten langen Stuhl oder auf ein entsprechende Brett gelegt wurde. Heute findet man diese Art einfache Aufbahrung nur mehr vereinzelt bei armen Leuten am unteren Lech bei Fuchsthal, in Unterdiessen, Asch, Leeder, Denklingen. In Rettenbach und in Nebenorten um Reutte bestand bis vor kurzem die sonst im Altbayerischen mehr verbreitete Sitte, dass man das Brett, auf dem der Tote gelegen hatte, hernach bemalen und mit dem Namen, dem Geburts- und Sterbedatum desselben versehen lässt und es dann an einen Baum bei der Straße oder einer Feldkapelle aufstellt, damit die des Weges kommenden noch längere Zeit an den Verstorbenen erinnert werden. Solche Totenbretter sieht man z.B. in Rettenbach noch in größerer Anzahl auf dem freien Platze am steinernen Kreuz liegen, den man deshalb sogar den Totenbrettplatz nennt.
Beten und Geldgaben
Solange der Verstorbene im Hause leichig liegt, ruhen seitens der Angehörigen alle größeren Arbeiten. Ebenso ist der Brauch weitverbreitet, besonders im oberen und westlichen Allgäu, dass untertags die Schulkinder des Dorfes entweder einzeln oder in größeren Gruppen kommen, um an der Leiche vorbei zu ziehen. Beim Weggehen wird meist jedem Kinde eine kleine Geldgabe überreicht. Andererseits erscheinen gewöhnlich auch die verschiedenen Ortsarmen zum Beten und werden dann selbstverständlich auch beschenkt.
Stundengebet
Eigenartig ist der Brauch in Gutenberg, im Fuchsthal, Asch, Leeder, Denklingen, Ellighofen. Hier einen bei jedem Stundenschlag die Nachbarsleute und wer überhaupt gerade im Dorfe Zeit hat und in der Nähe weilt, in das Haus in dem die Leiche liegt und beten gemeinschaftlich laut fünf Vaterunser. Dies geschieht alle Stunden, bei Tag und Nacht. Bei Nacht sind es oft nur die „Wächtnar“, die beten, doch lassen es sich zuweilen junge Leute nicht nehmen, mitten in der Nacht aufzustehen um dann jedesmal beim Stundengebet parat zu sein.
Nachtwache
Die nächtliche Wache bei der Leiche wird im größten Teil des Allgäus von den nächsten Nachbarn besorgt, die am Abende sich einfinden und bis zum Morgen verbleiben und sich gewöhnlich in der Stube aufhalten, wo man ihnen je nach Ortssitte Bier, Schnaps, Brot, Käs usw vorsetzt. Bei Frauenleichen wachen in den Bergstätten gewöhnlich Nachbarsfrauen oder Töchter. In Hindelang richtet sich die Pflicht zum Wachen nach dem gemeinschaftlichen Brunnen.
Haar-Reliquien
Häufig werden, besonders im westlichen Allgäu, der Leiche ehe sie in den Sarg kommt seitens der Angehörigen eine Anzahl Locken abgeschnitten und dann als teures Andenken und als Reliquie aufbewahrt. Sind die Locken lang, wie bei Frauen, so lässt man draus manchmal Haarschnüre flechten oder sie an Ringen oder Ohrengehängen anbringen. Manchmal werden sie auch an der Wand der Stube mit Inschriften angebracht.
Leichenzug
Leichen von kleinen Kindern werden fast nie gefahren, sondern von einem ledigen Nachbarsburschen unter dem Arme getragen. In Reutte werden Leichen von kleinen Mädchen von einer Jungfrau zu Grabe getragen.
Wenn man in Pflach bei einer Beerdigung die Leiche aus dem Hause trägt, wird sie bei einer jeden Tür, durch die man kommt, niedergestellt und wird erst ein Vaterunser gebeten mit folgendem Herr gib ihm die ewige Ruhe, worauf man sie wieder aufnimmt und weiter schreitet.
Leichengottesdienst
In Reutte geht beim Opfergang nach der Kommunion immer die Taufpatin oder der Taufpate voraus, falls diese noch leben; umgekehrt die Kinder oder Personen, die vom Verstorbenen aus der Taufe gehoben wurden.
Leichentrunk, Totenmahl
Den Leichengottesdienst schließt mit Ausnahme des Tannheimer und des oberen Lechtals überall ein Leichentrunk ab. Dieses Totenmahl, das ein bis zwei Stunden dauert, erhält seinen Abschluss gewöhnlich in der Weise, dass der Wirt ein Kruzifix und einen Leuchter auf einem Tisch aufstellt und dass dann alle Anwesenden sich erheben und gemeinschaftlich laut fünf Vaterunser und den Glauben und zuletzt noch ein besonderes Vaterunser für das Nächstverstorbene beten. Einfacher wird es in den protestantischen Ortschaften der Umgegend von Memmingen gehalten, wo man nach der Beerdigung die Verwandten gewöhnlich zum Tränenbrot in das Haus des Verstorbenen einlädt und da dann Bier, Käs und Brot verabreicht. In Stötten gebührte ehedem dem Pfarrer, wenn ein erwachsene Person starb ein Hahn und eine Henne. Mancherorts muss ein Opfertier für die Armen des Dorfes gegeben werden.
Selbstmörder
Selbstmörder wurden ehedem in Memmingen in ein Fass geschlagen und in die Iller geworfen.