Die Holle im Außerfern - Göttin ohne Tempel

Elisabeth Wintergerst

Elisabeth Wintergerst
Elisabeth Wintergerst

Hollabräuche im Außerfern und in Pfronten

Der Haupttag der Holla ist der 28. Dezember, auch „Tag der unschuldigen Kinder“ genannt. Am Tag der Unschuldigen Kinder wird nach christlicher Definition den Kindern gedacht, die Herodes nach der Geburt des Jesus töten ließ, da er den "neugeborenen König" umbringen wollte. Der Tag wurde jedoch im Tiroler Brauchtum zum Tag der ungetauft verstorbenen Kinder, die unter dem Schutz der Holle/Percht standen.

Tabu-Namen

Die Holla wird in Tirol auch Perchta (von perata = stahlend), Königin Berta bzw. Stampe (von stampfend gehen) genannt. Die Scheu davor, den Namen der Göttin direkt auszusprechen war groß. Um kein Tabu zu brechen, wurden deswegen ihre Eigenschaften beschrieben: die Holde, die Strahlende, die Stampfende.  In vielen Zügen gleicht sie der Frau Holda, deren Gestalt ebenso wandel- wie wunderbar ist. "Hold" weist auf die milde Seite der Göttin hin. In anderem erinnert sie aber auch an die Hel, die Fürstin des Totenreiches. Typische Attribute der Perchta/Holle sind der Besen, die Schere, die Mistgabel und sie wacht über das Spinnen.

 

Die Holla ist die Königin der ungetauften verstorbenen Kinder, deren Seelen-Zug sie anführt. Gesehen wird sie deswegen oft am "Fest der Unschuldigen Kinder", dem 28. Dezember. In der Schweiz ist der Tag der Holla/Perchta am 02. Januar ein hoher Feiertag. Vermutlich war der Holla/Perchta der gesamte Mondmonat, in den die Wintersonnwende fällt geweiht. Mancherorts kommt sie unerkannt vorbei und schaut, ob das Haus in Ordnung ist. Stellt sie Nachlässigkeiten oder Lieblosigkeiten fest, greift sie ein. Ungeliebte Kinder nimmt sie in ihren Zug mit auf. Im Bärbeletreiben (04. Dezember), im Hollaschreien und in den Perchtenläufen sind die Reste der Rituale dieses Verwandlungsmonats zu sehen.

 

In Pinswang hat sich das Hollaschreien erhalten. In Pfronten gab es früher das Hollabeten.

Hollaschreien in Pinswang

In Unterpinswang wird gerufen: Holla, holla, Bierezelte, siaß oder sau'r, raus mit'm Baur! Holla, Holla...

In Oberpinswang wird gerufen: Holla, Holla, Bierezelte hea, sei a sieß oder reaß!

 

Hollabeten in Pfronten

Der Sagen- und Brauchtumsforscher Karl Reiser zeichnete folgendes auf: In Pfronten hat sich vereinzelt bei recht alten Leuten noch die Erinnerung erhalten, dass vor ca. 60 Jahren (also um 1830) am Kindelstag (28. Dezember) die Kinder in manchen Familien "beten" mussten: "Holla, Holla a guet Kindle sei!" Dabei wurden sie mit einer Rute gefizt oder gehauen und dann hat man ihnen etwas gegeben, z.B. Brot oder Kleinigkeiten.

Deutlich lässt sich feststellen, dass der „Nikolaus“ als männliche Figur, der ursprünglich nicht in das Brauchtum des Außerferns und des Allgäus gehört, hier Funktionen der Holle/Percht/Berchta/Bärbele (Barbara) übernommen hat. So war es teilweise üblich, am Barbaratag (04. Dezember) kleine Geschenke an die Kinder zu geben. Und die Barbarazweige, die am Barbaratag geschnitten wurden, um zur Wintersonnwende zu blühen, waren weitaus mehr in Gebrauch als der Weihnachtsbaum.

 

Liebesorakel in Füssen in der Thomasnacht (21. Dezember – Wintersonnwende)

In der Gegend um Füssen ziehen beim Bettgehen abends am 21. Dezember die heiratslustigen Mädchen die Bettlade von der Wand weg, gehen mit einer Hand voll Leinsamen um dieselbe herum, streuen Lein aus und sprechen:

Heiliger Thoma I säh dir an Soma, I säh dir an Lein, Dass mir heutnacht der Meinig erschein! (Karl Reiser)

Die Holle ist hier zwar nicht ausdrücklich genannt. Doch die Tatsache, dass für das Liebesorakel Leinsaat benutzt wird, stellt einen Bezug zur Holle her. Denn aus Leinen/Flachs wird der Faden gesponnen. Die Kombination zwischen Spinnen und Verkuppeln/Küngelei ist sehr verbreitet.

 

Hollasagen im Außerfern

Die Holla ist namentlich nur in der Sage „der Jäger am Säuling“ genannt. Als markante magische Frau kann sie auch in den Sagen „Sündwagstämpe“ in Reutte und „die wilden Leut von Nesselwängle“ erkannt werden. Eventuell verbirgt sie sich auch in der „Weißen Frau von Breitenwang“

Der Jäger am Säuling

Als einmal am Säuling in einem Heustadel ein Jäger, der vom Abend überrascht worden, übernacht blieb, kam ein fürchterliches Gewitter herangezogen, daß er glaubte, der jüngste Tag erscheine. Auf einmal hörte er hoch über dem Stadel eine gellende Weiberstimme rufen: "Holla! warum läßt du denn nicht fallen?" worauf eine andere Stimme von der Säulingspitze antwortete: "Ich kann nicht, der Breitewanger Stier brüllt!" In Breitewang [Breitenwang] hatte man aber die Wetterglocke geläutet.

Reiser

Der Ausruf "Holla..." dürfte nicht nur ein Ausruf des Erstaunens sein, sondern die Anrufung der Göttin Holla als Wettermacherin. Schließlich hat auch die Frau Holle im Märchen die Aufgabe des Wettermachens. Wenn sie ihre Betten ausschüttelt, beginnt es auf der Erde zu schneien. Der Sitz der Göttin Holla, ist die Säulingspitze. Der „Jäger“ ist als „Grüner Mann“ zu deuten. Der Grüne Mann ist eigentlich ein Fruchtbarkeits- und Vegetationsheros der Göttin, der mit ihr eine Hochzeit vollzieht, um der Landschaft Glück und Wachstum zu schenken. Diese Grundform der Sage ist jedoch stark überlagert. Die Holla ist nicht mehr die allmächtige Göttin, die sich mit ihrem Geliebten (dem Grünen Mann) rauschhaft vereinigt. Die Holla wurde bereits dämonisiert. Die Situation zeigt einen Konflikt zwischen der vorchristlichen Göttin Holla am Säuling, die sich nicht mehr gegen die Kraft der christlichen Wetterglocke von Breitenwang durchsetzen kann.

Die Sündwagstämpe

In früheren Zeiten hörte man in Reutte und Umgegend noch öfters von der Sündwagstämpe reden und die Kinder damit bedrohen. Es sei das ein gar großes Weib gewesen mit verschleiertem Gesicht und langer Schleppe, die sie hinten nachzog. Sie sei gewöhnlich von der Sündwag hereingekommen, wo sie immer auftauchte, als wäre sie aus dem Boden herausgestiegen. Man hat sie dann später oft "nachgemacht", indem sich Leute verkleideten und dann als Sündwagstämpe die Kinder schreckten, um sie zu Bravheiten zu bringen.

Reiser

Wie beim „Hollabeten“ in Pfronten, geht es bei der Sündwagstämpe um die Kinder. Die Sündwagstämpe ist einerseits wild und furchteinflößend und andererseits ermahnt sie die Kinder. Vermutlich war der Inhalt der Sage einmal ausführlicher und ist nur in Bruchstücken überliefert. Deutlich ist jedoch noch die Holle/Percht als Wächterin über die Kinder zu spüren. In dem „Nachmachen“ der Erscheinung der Göttin, kann sich auch die Erinnerung an alte Prozessionen zu Ehren der Holla verbergen,  so dass die Sündwag ein Ort ist, an dem die Holle vermutlich verehrt wurde. Darauf deutet auch der Flurname Sündwag hin, der sich von Sündenwang = Sündenbichl herleitet.

Die wilden Leut von Nesselwängle

Die schönste und ausführlichste Hollasage findet sich in Nesselwängle, im Tannheimer Tal.

In Nesselwängle waren einmal zwei Weiberleute, Mutter und "Föchl" ( = Tochter, von lat. filia) draußen im Felde mit Jäten beschäftigt, als eine enzgroße und dickbauchige Kröte dahergewackelt kam und gerade vor sie hin. Da sagte die Tochter: O du wirst wohl auch bald in die Kindbette kommen! Ich will dir dann helfen pflegen und strich sie mit einem Büschel Jät auf die Seite.

Nach einigen Tagen erschien ein kleines Männle, um die Tochter zum Pflegedienst zu holen, und als diese sich weigerte, so sagte er, sie müsse mit, denn sie habe es ja seinem Weibe versprochen, und gemahnte sie daran, was sie beim Jäten zu der Kröte gesagt hatte. Da konnte die Föchl nicht mehr anders und ging mit dem Männle fort und kam richtig zu einer Kindbetterin, die sie nun fleißig pflegte. Sie hatte es da ganz gut, und alles war ganz freundlich mit ihr. Als die Pflegezeit vorüber war, gab ihr aber das Männle zum Lohn kein Geld, sondern überreicht ihr eine kleine Spatel (Schachtel) aus der zu einem Löchlein heraus ein Trumm Faden herausragte. Da dürfe sie nur immer ziehen, sagte das Männle, so habe sie ihr Lebtag Zwirn genug, denn er werde ihr nie ausgehen. Nur dürfe sie das Schächtelchen nie aufmachen, sonst sei es gleich aus. Aber die Föchl hat es  nicht gar lange verhalten und hat hineingeschaut, und da ist der Knäuel auch gleich zu Ende gewesen.

Reiser

Die Sage ist eine Initiationssage, die gleiche Wesensmerkmale und Symbole wie die Geschichte von der "Frau Holle" trägt. Das Mädchen geht, eher unfreiwillig, in die "Anderswelt" zur Kröte/Holle und wird dort mit dem Thema Geburt (Backen, Verwandlung, Herausholen im Holle-Märchen) vertraut gemacht. Als Lohn bekommt sie von der Göttin ihre Spule, bzw. eine Schachtel mit dem Schicksalsfaden. Auch hier gibt es eine Parallele zum Holle-Märchen. Die Göttin macht sich durch ihr Attribut – die Spule, bzw. der gesponnene Faden – sichtbar.

Aber die Göttin duldet es nicht, wenn man ihre Gebote nicht einhält. Wird das Geheimnisvolle entzaubert, entzieht es sich. Die Kröte wird häufig als Bote in eine andere Ebene der Wirklichkeit gesehen. So wurde für den Hauskrott immer ein Zugang zum Haus offen gelassen. Auf der Kröte kamen die Seelen der Verstorbenen zurück um wiedergeboren zu werden. Das Symbol der Kröte wird kulturübergreifend in dieser Weise verwendet.

In der Sage „die seltsame Kröte“ aus Bach im Lechtal ist das gleiche Thema bearbeitet, jedoch ist die Sage bereits sehr verstümmelt und das Holle-Motiv von Einweihung und Geburt ist kaum noch zu erkennen. An die Stelle des „Schicksalsfadens“ sind die Kohlen getreten, die sich in Gold verwandeln.

 

Eines Abends ging eine Dirne von Dörflein Bach nach Hause und sah am Wege eine große dicke Kröte sitzen und sprach: "Geh aus dem Wege! Ich will dich dafür gerne pflegen, wenn du einmal ins Kindbett kommst," und lachte dazu.

Nach drei Wochen kam ein Mann zur Dirne und sagte, sie solle mit ihm gehen und das der Kröte gegebene Versprechen einlösen. Die Dirne folgte dem Manne in den Wald zu einer einsamen Hütte und fand wirklich eine Wöchnerin im Bett liegen. Diese pflegte sie fleißig als Wärterin. Als die Zeit um war, ging sie nach Hause. Beim Abschied aber gab ihr der Mann einen Sack voll Kohlen mit der Bemerkung, ihn beileibe nicht vor zu Hause zu öffnen. Die Dirne aber meinte, die ganze Welt würde sie auslachen, wenn sie als Lohn nichts als einen Sack voll Kohlen heimtrüge, öffnete den Sack am Wege und schüttete die Kohlen aus. Zu Hause sah sie zu ihrem Erstaunen am Zipfel des Sackes Goldstücke hängen: es waren Teilchen von den Kohlen, die im Sack geblieben waren und sich in Gold verwandelt hatten. Eiligst rannte die Dirne zum Walde zurück; aber sie fand nicht mehr den Weg, den sie zurückgegangen war. All ihr Suchen nach den leichtsinnig weggeschütteten Kohlen blieb vergebens. (Karl Reiser)